27.04.2012 - Tranquile, Tranquile

"Tranquile, Tranquile" so begegnen einem die Marokkaner, wenn es mal wieder zu zügig geht und schon haben sie einen wieder runtergeholt von dem hektischen Gehabe, das man anscheinend zu oft an den Tag legt. Und so sitzt Mann entspannt und tranquile in einem Café außerhalb der Medina. Man hört typische Geräusche: Das gelegentliche Gehupe auf der Straße, den Moderator im Fernseher, der auf einen arabischen Sportsender eingestellt ist und der entsprechend der gezeigten Spielsituation neutral bis enthusiastisch ins Mikrofon schreit, Jugendliche mit ihren Handys, auf denen sie sich gegenseitig die Marokko-Top-40 vorspielen. Es gewinnt der, der das lauteste Handy hat. Weit im Hintergrund der Presslufthammer, aber es ist nicht störend, sondern mischt sich passend in den Gesamt-Geräuschteppich. Außerdem hört es nach wenigen Minuten auf - Pause. Welch gute Entscheidung hat Mann doch getroffen, die beiden Damen alleine auf Beutezug durch die Souks zu schicken.

Tranquile - ja, das trifft die Situation.

Chefchaouen hatten wir eigentlich gar nicht auf dem "Plan". Ein Franzose auf dem Campingplatz in Fes hat fast drauf bestanden, daß wir die Stadt besuchen sollten und auf Grund seiner eindringlichen Beschreibung ändern wir den Plan und die Route. Statt wieder nach Asliah fahren wir nach Chefchaouen, zum Glück. Man kann nicht sagen, daß wir uns im Laufe der Reise immer schönere Plätze erfahren haben, stattdessen erfahren wir immer andersartige, wundervolle Orte in diesem Land, das so vielfältige Landschaften, Städte und Menschen bietet. Damit haben wir nicht gerechnet und wir bereuen ein wenig, "nur" vier Wochen zu haben, denn es gibt hier noch soviel zu entdecken, zu erfahren … Wir sind nicht das letzte Mal in diesem einmaligen Land.

So nun auch in Chefchaouen, das uns wie eine gelungene Mischung aus Santorin und dem orientalischen Gegenstück zum frühen Ibiza vorkommt.

Tranquile - manche sind dann auch so hinterm Steuer. Vielleicht sogar zuviel tranquile, da mit Tranquilizer vollgestopft, so fährt ein älterer Marokkaner Kathis parkendes Motorrad an, zwar ganz tranquile, aber auch ganz schön ärgerlich. Sein Wendekreis ist nicht eng genug, um die 180 Grad-Kurve ohne zu schalten zu befahren, also muß das Motorrad weichen. Wir sind hier im Rif-Gebirge und der Alte scheint das angebaute Zeug hier selbst zu konsumieren, setzt er doch ein Stück zurück, um dann erneut vor die Koffer zu fahren. Anscheinend ist die Qualität des Rauschmittels ausgezeichnet. Erst als Susanne schreiend auf ihn einstürmt und mit diversen Flüchen belegt, scheint er kurz aus seinem Dämmerzustand zu erwachen - aber ganz tranquile halt, und so setzt seine Fahrt ohne erkennbaren Zwischenfall fort, bis wir ihn um die nächste Häuserecke biegen sehen. Eigentlich sollte man was von dem Kraut bestellen, welches der Alte geraucht hat und für passende Situationen aufheben: Anmeldungen im Straßenverkehrsamt, Abendnachrichten anschauen, Interviews mit Politikern lauschen, Interviews mit Fußballspielern direkt nach dem Abpfiff, Rechnerprobleme, da kommen schon eine Reihe passender Gelegenheiten zusammen - aber Mann schweift ab.

Wir waren bei Chefchaouen stehengeblieben. Ein wunderschönes Städtchen und für jeden Marokkoreisenden zu empfehlen. Untergekommen in der Familienpension Ahrazen im kleinen Zimmer auf der Dachterrasse, die wir uns mit einer Schildkröte, einem Hündchen, mehreren Tauben und einem Katalanen friedlich teilen, geniessen wir den Ausblick auf die Stadt. Morgen geht es dann in aller Frühe nach Tanger. Hoffentlich ist die Straße ähnlich eindrucksreich wie die Route von Fes nach Chefchaouen, wenn man der N13 nach Norden folgt. Man fährt durch Alpentäler, die in der Zeit vor 100 Jahren stehen geblieben sind. Wir folgen einem Fluß und jede Kurve hält an ihrem Ende neue Ausblicke für uns bereit. Wenig Verkehr auf der Straße läßt ein höchst entspanntes - oder sagt man hier tranquilles - Fahren zu.

Ach ja, da war noch was, Mann hat sich ja verdrückt und feiert seinen Geburtstag in Chefchaouen. Nach der Geburtstagskerze am Morgen auf dem obligatorischen Yes-Torty wird auf der Dachterrasse des Aladin beim zweiten Frühstück mit einer Auswahl an marokkanischen Patisserieerzeugnissen gefeiert. Eingeladen sind Kathi und Susanne - es gibt schlechtere Orte, um einen Tag älter zu werden.