Arslanbob - Wir kommen in die Hufe

11.07.2013

Arslanbob? Was ist das denn - eine neue Abfahrtssportart?
Weit gefehlt, allenfalls stimmt überein, dass es etwas mit Bergen zu tun hat. Arslanbob ist ein kleines Dorf 45 km nördlich von Jalal-Abad in einer Sackgasse gelegen, an deren Ende die Berge des Fergana Range wie ein 4.500 m hoher Riegel das Tal verschließen. Idylle pur erwartet uns hier! Klare Bäche, die Wiesen und Wälder durchziehen, Wasserfälle und der Welt größter uralter Walnusswald umgeben Arslanbob. 1.500 Tonnen Nüsse werden in jedem Jahr von den Einwohnern gesammelt, was bereits seit den alten Seidenstraßen-Zeiten zu einem nicht unbeträchtlichen Wohlstand führen mag. Die malerische Umgebung zieht vor allem lokale Touristen aus Osh und Jalal-Abad an, Ausländer wie uns finden wir so gut wie keine an diesem schönen Ort. Die Straße nach Arslanbob ist erst seit wenigen Jahren asphaltiert, im Dorf selbst gibt es gar keinen Asphalt. Die Wege bestehen aus Schotter und dicken Wackersteinen, und wegen der Steilheit ist es nicht so einfach, die Motorräder dort herumzubugsieren.

Wir haben keinen Plan vom Reiten, freuen uns aber riesig, als eines morgens ein Guide auf seinem Pferd samt zwei Pferden für uns beide vor dem Tor unseres Hauses stehen. Es wird nicht lange gefackelt: Nach einer Kurz-Einweisung des Besitzers Rasul, der uns zeigt, wie man sich Pferden nähert, auf- und absteigt, lenkt und wie sich "Gas" und "Bremse" betätigen lassen, geht es sofort los. Nix Führstrick - wir sind uns selbst überlassen und vertrauen auf die Nachsicht und Gutmütigkeit unserer vierbeinigen Untersätze. Und die können was - es geht buchstäblich über Stock und Stein, durch Flüsse und an steilen Abhängen vorbei auf Wegen, die Trampelpfadbreite haben und zum Teil so steil und uneben sind, dass wir Mühe hätten, sie auf eigenen Füssen zu bewältigen. An mancher Stelle wird mir ganz schön flau, dann lenke ich den Blick zur Bergseite und hoffe, dass das Tierchen weiß, was es tut! Auf dem Motorrad muss man sich ja um alles selbst kümmern ...

Osh - Müßiggang (?) in Kirgisistan

04.07.2013 - 13.800 km

Am Nachmittag kommen wir in Osh an - das ist ein ganz schöner Gegensatz zum Pamirgebiet: Umgeben von Grün, voller Menschen, laut und bunt. Da wir einige Zeit städtisches Leben benötigen, um Verschiedenes zu erledigen, ist diese Stadt eine gute Wahl, wie wir finden. Das Finden einer Unterkunft allerdings bleibt erst einmal im kirgisischen Feierabendverkehr stecken. Wir haben es fertig gebracht, in eine Hauptstraße abzubiegen, in der wohl alle Busse Kirgisistans ihren Halt machen. Einspurig, versteht sich, und damit man ja nicht auf die Idee kommt, zu wenden und alles völlig durcheinander zu bringen, befindet sich in der Fahrbahnmitte eine ein Meter hohe durchgängige Mauer. Also festgefahren - die Ursache, warum wir für 100 m eine halbe Stunde brauchen, ist schnell gefunden, denn jeder Bus fährt erst weiter, wenn er voll ist oder absolut niemand mehr zu erwarten ist.

Als wir reichlich gar gekocht unser Guesthouse erreichen, teilt man uns mit, dass kein Zimmer frei sei. Im Garten stehen zwei Jurten, die ebenfalls belegt sind. Erschöpft plumpsen wir auf eine Bank, um uns zu beraten, als einer der Jurtenbewohner, ein Schweizer, uns anbietet, seine "Mupfel" (*) mit uns zu teilen, da er sowieso morgen um 5 Uhr die Stadt verlassen wird.
Wir sind glücklich und ziehen bei ihm ein!
Motorengeräusche lassen uns in den Garten schauen, und eine BMW 1200 GS aus Frankreich parkt ein. Der Fahrer (15) (!) und seine Sozia (seine Mutter) begrüßen uns und den jüngeren Sohn Robin (12), der hier auf sie wartete. Wir erfahren, dass der Vater mit seinem Motorrad noch in einer Werkstatt beschäftigt ist, weil der Familien-Truck kaputt ist, in dem sie auch ihre vier Motorräder um die Welt transportieren. Moment mal, die Geschichte kommt uns doch bekannt vor!
Was für eine Wiedersehensfreude, als wenige Zeit später Yannick aus der Werkstatt kommt, lernten wir ihn doch vor Wochen kennen, als er total abgebrannt, ohne Familie und ohne Truck mit seinem Motorrad vor unserer Herberge in Duschanbe stand. Zur Erklärung ein Zitat von uns, 14.06.:

"Wir helfen Yannick aus Frankreich aus der Patsche, indem wir ihn zunächst mit Wasser und Bananen versorgen und ihn anschließend mit seiner Bank skypen lassen, weil sein Handy leer ist und er nur noch zwei Som in der Tasche hat. Hintergrund: Er steht mit seiner BMW in der Einfahrt und sieht absolut fertig aus. Wir erfahren, dass er und seine Familie mit einem 7m-MAN-Cat in Murghab (900 km Piste entfernt) im Matsch stecken blieb und für die Bergung mittels einheimischem Kamaz richtig zahlen musste. Um Geld zu organisieren und um irgendwelche Visa hier abzuholen, rumpelte er mit seiner mitgeführten BMW die Strecke in zwei Tagen zurück, schlief nachts in irgendeiner kleinen Moschee in den Bergen und konnte am Nachmittag darauf, nach erwähnten Skype-Gesprächen, alles Gewünschte bekommen, was so ein Reisender auf Sondermission eben braucht. Anschließend lädt er uns netterweise zum Essen ein und ist nun auf dem Weg zurück zu seiner gestrandeten Familie."

Nun hat der Truck massive Beschwerden an Kupplung und Getriebe, und die Familie wohnt in der zweiten Jurte. Wir verbringen zunächst den Abend mit ihnen und haben viel Spaß.
Am nächsten Morgen schwingen wir uns aufs Motorrad und fahren mit Yannick zur nicht weit entfernten Werkstatt, um uns das Malheur anzusehen. Kaum auf den Platz eingebogen, überkommt mich eine heftige Übelkeit, die mich kaum noch auf Thomas´ Sozius sitzen lässt. Er bringt mich gleich zurück, damit ich mich hinlegen kann. Mir ist so schlecht, dass ich mich kaum zu lassen weiß, dazu kommen Muskel- und Nervenschmerzen. Ich dämmere vor mich hin, bis ich im Schummerlicht der Jurte sehe, dass es auch Thomas erwischt hat, der nun neben mir liegt.
Es folgen ein Tag und eine Nacht, deren Einzelheiten zu schildern ich mit spare. Es sind wohl Salmonellen einer unbekannten Unterart, die uns so zu schaffen machen. Wir werden freundlich von Muriel und Yannick mit Kohletabletten und Bananen versorgt, und am nächsten Tag geht es wieder bergauf mit uns. Erschwerend hinzu kommt aber, dass es bereits am Tag zuvor zu gewittern begonnen hat, und die Wolle der Jurte saugt sich mit Regen voll, so dass nach einiger Zeit alles nach "nasser Hund" riecht. Puh, und wenn dann die Sonne wieder drauf scheint - davon wird uns wieder so schlecht, dass wir gern in ein nun frei gewordenes Zimmer des Guesthouses umziehen. Das aber ist für den nächsten Tag reserviert, und wir finden wiederum einen Tag später bequem und sehr preiswert Unterkunft im Konferenzraum des Hauses, aus dem wir uns bis jetzt nicht wieder "ausziehen" lassen. Thomas weigert sich wieder umzuziehen, zumindest bis die nächste Konferenz stattfindet. Die Guesthouse-Leitung trägt´s mit Fassung …

Der Truck der Franzosen läuft nach neun Tagen immer noch nicht - wir beide wollen noch zwei Tage bleiben und hoffen, dass auch die Franzosen bald wieder zu Potte kommen!

(*) Mupfel, Definition lt. Quelle Wikipedia "Urmel aus dem Eis" (Kinderbuch v. Max Kruse):
Der Waran Wawa lebt in einer Muschel, die am Strand von Titiwu liegt. (…) Ping, ein Pinguin, ist neidisch auf Wawas Muschel und möchte gerne auch eine haben. Er versucht mehrmals, Wawas Muschel zu besetzen. Sein Sprachproblem ist das sch; er sagt stattdessen pf. Ein geflügeltes Wort aus dieser Geschichte ist daher „Mupfel“, wie Ping die Muschel nennt, in der Wawa gerne liegt und entspannt.

Pamir - Wir waren dem Himmel nie näher

27.06.2013, 13.371 Kilometer

Die süße Zeit im Garten am Panj findet nach fünf Tagen schneller ein Ende, als wir dachten. Aufgrund der Taliban-Attacke in der Gegend des Nanga Parbat, bei der es neun Ermordete zu beklagen gibt, fühlen wir uns hier an der afghanischen Grenze nicht mehr sicher. Die Grenzmärkte in Khorog und Ishkashim sind auch nicht wegen Typhus, wie es zunächst hieß, sondern wegen der drohenden Gefahr durch die Taliban bis auf Weiteres geschlossen worden. Am Abend vor unserer Abreise können wir beobachten, wie sich am gegenüberliegenden Ufer mehrere Afghanen trafen und das Hotel mit dem Feldstechern beobachteten und auch Fotos machten. Das muss nichts heißen, aber wenn man bedenkt, dass das Serena Inn, in dessen Garten wir zelten, das erste Hotel am Platz ist, außerhalb gelegen und außerdem im Besitz von Aha Khan ist, der wie in Tadschikistan auch in Afghanistan mit seiner Stiftung Minderheiten und Frauen unterstützt, gäbe das Hotel ein perfektes Ziel ab, zumal die Taliban weitere Anschläge angekündigt haben.

Alles sehr traurig, aber wir packen am Morgen zusammen, um nicht (wieder) in irgendetwas hinein zu geraten.

Der Pamir erwartet uns in seiner ganzen Herrlichkeit. Tagelang durchfahren wir die Einsamkeit, übernachten in Jurten oder den kleinen Häuschen der Bergbauern.

Tadschikistan - Erste Tage im Pamir

20.06.2013 - ca. 12.600 km

Der Müßiggang hat ein Ende! Der Berg ruft - vielmehr ganz viele, ganz hohe Berge, und wir brechen von Duschanbe auf in Richtung Pamir. Wir haben uns eigentlich (was für ein schönes Wort …) dazu durchgerungen, über den Sharidasht-Pass nach Khorog zu gelangen, obwohl es in den vergangenen Tagen in den Bergen geregnet hat und dieser Passweg (ich vermeide das Wort "Straße") nicht mehr gepflegt wird. Aber wir wollen Versuch machen, und falls uns die Überquerung nicht gelingt, umkehren und die südlicherer Route über Kulyab nehmen. An der entsprechenden Abzweigung zweigen wir falsch ab und betrachten das als eine Art Schicksalswink, will heißen, wir folgen der Südroute. Von der erzählte man uns, sie sei völlig überlastet von Taxen und Lastern, die nach China wollen oder dort herkommen - das Gegenteil ist der Fall, wir begegnen kaum jemandem. Vor die erhoffte kühle Bergluft hat irgendwer noch eine heiße Ebene platziert, damit haben wir ja inzwischen schon ausreichende Erfahrungen sammeln können. Dann aber geht es in die Höhe, und wir bekommen die ersten Aussichten auf das, was uns wohl erwarten wird. In der Ferne schneebedeckte Gipfel, die Straße (ich meine Piste) windet sich über kleinere Pässe und durch schöne Täler.
Mit der Hitze des Nachmittages steigt auch die Hitze in unseren Klamotten, die wir immer wieder an Quellen und Brunnen am Straßenrand nass machen. Das Wasser bildet dann zusammen mit unserem Schweiß und dem Staub gelegentlich uns entgegen donnernder Laster und Jeeps eine Art natürlichen Sonnenschutz auf all unseren Oberflächen. Wir gelangen an eine Tankstelle, an der der Betrieb nur durch ZWEI Angestellte gesichert ist: einer hält den Rüssel in den Tank, der andere im Häuschen macht auf Zuruf den Hahn auf oder zu. Der Rüsselhalter ist einen Moment abgelenkt, und ich bekomme eine ordentliche Ladung Benzin auf die Oberschenkel! Sofort setzt das Brennen ein, und ich erinnere mich mit Schrecken daran, dass Benzin nach einiger Zeit die Haut ablöst. Also tobe ich etwas herum. Und will sofort die Hose wechseln und meine Beine abwaschen. Das gestaltet sich nicht schwierig, meine Körpersprache wird verstanden und in werde in das Schlaf-Ess-Was-weiß-ich-Zimmer der Tanke geleitet. Einrichtung: ein Teppich. Der sieht nun vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit Wasser, als ich dort meine Beine abschrubbe und die Hose wechsle. Glücklicherweise, denn es brennt fürchterlich und wird schon rot. Die Sache geht aber noch gut. Am blödsten finde ich, dass der Rüsselhalter sich noch nicht einmal entschuldigt.

Nach 300 km Staub, Gerappel und Geklötere wollen wir dann auch nicht mehr auf die schöne Berglandschaft gucken, nicht heute. Wir wundern uns, wie die Motorräder diese Beanspruchung ohne zu Murren aushalten. Der letzte Stopp des Tages ist an einer Art familiär geführtem Teehaus, wo wir fragen, ob wir dort auch übernachten könnten. Wir haben nämlich unter dem großen Apfelbaum eines dieser Riesendiwan-Abhänge-Gestelle erspäht, auf die man trefflich seine Luftmatratze positionieren könnte - der Besitzer ist einverstanden, und wir schlafen gleich am Ufer des Panj (dem Grenzfluss zwischen Tadschikistan und Afghanistan) zumindest hinter einem Zäunchen. Man empfahl uns nämlich dringend, in dieser Gegend nicht wild zu campen, da der Grenzhandel mit Drogen gelegentlich nicht in beiderseitigem Einverständnis stattfindet. Erstmal duschen! So, die einzige Wasserstelle für sein Gasthaus und die elf Kinder ist ein dicker Schlauch in einem Becken vorn am Tor, aus dem Tag und Nacht Bergwasser läuft. Mittels einer weniger ausgeklügelten als einfachen Konstruktion wird dieser Schlauch zum Duschen auf einen anderen gesteckt, der in einer stockfinsteren Banja im Hof endet. Strom gibt´s nur morgens und abends, so reicht er mir zur Erhellung seine dicke Taschenlampe. Überraschenderweise ist das Wasser fast handwarm und nicht wie erwartet eiskalt, und so können wir uns ohne Bibbern den Staub abspülen. Als ich die Taschenlampe ausschalte, bekomme ich ordentlich eine gewischt, irgendwie ist die Isolation nicht Feuchtraum-geeignet …

Thomas hat sich derweil auf dem Diwan schon häuslich eingerichtet, und er schläft wie im Abraham´s Schoß. Ich nicht so ganz, weil ich überall Schmuggler und subversive Elemente vermute in der stockdunklen Nacht. Eine besondere Herausforderung ist es, als ich mitten in der Nacht das Toilettenhäuschen am anderen Ende des dunklen Gartens aufsuchen muss.
Beim Aufwachen ist unser Diwan umringt von Tischen, die mit Truckern voll besetzt sind. Auch sie wissen dieses schöne schattige Plätzchen zu schätzen und wundern sich nur über das Lager in ihrer Mitte.